Und gerade diejenigen, die hier jetzt frei ihre Meinung über den "Unsinn" von Religion äußern, sollten sich im Klaren darüber sein, daß ausschließlich unser christlicher Hintergrund in Europa Menschenrechte und infolgedessen freie Meinungsäußerung möglich gemacht hat.
Man kann Jesus die Göttlichkeit absprechen, aber man kann ihm nicht absprechen, einer der ersten kompromißlosen Pazifisten und Menschenrechtler gewesen zu sein - und mit seinem "liebe Deinen nächsten wie Dich selbst" und "halte auch die andere Wange hin" auf Kosten des eigenen Lebens den Weg zu einer menschenfreundlicheren und sozialeren Zukunft geebnet zu haben. Etwas derartiges zu erreichen, wäre ohne die religiösen Untertöne zur damaligen Zeit gar nicht möglich gewesen, denn das Volk hätte seine Lehren ohne diese "Akkreditierung" nicht angenommen und in sich fortgetragen.
Er war einer der ersten, wenn nicht der erste, der offen und öffentlich mit allen furchtbaren Konsequenzen für soziale Belange einstand und nur dieser Grundtenor des Christentums (ungeachtet seiner Irrwege) konnte die Toleranz hier und heute weit genug gedeihen lassen, daß wir nun Staat und Religion getrennt haben.
Man betrachte demgegenüber mal die "Grundform" derselben Religion, den Islam, die sich nicht in diese Richtung entwickelt hat, sondern ihren strafenden Gott beibehielt und Jesus nur eine niedrige Prophetenrolle zugestand. Der "Gotteststaat" ist dort noch normal - und Menschenrechte sind ein Fremdwort.
Ich würde gern hören, wie Ihr Euch in einem solchen Staat über Religion so offen äußertet, denn dort gäbe es Konsequenzen. Daß wir das hier nicht mehr haben, verdanken wir ebenso einer Religion, wie die Menschen dort einer Religion ihre Unfreiheit verdanken.
Dennoch ist sie offenbar eines der wichtigsten Dinge gewesen, um Gesellschaften erst möglich zu machen und sie zu ordnen. Denn viele Menschen nehmen nun mal nur dann Regeln an, wenn sie Sanktionen fürchten müssen. Abgesehen davon zeigt die Entwicklung der Menschen (zB an ihren Grabriten) von Anbeginn an, daß Religion in ihnen verankert ist.
Sollen wir sie ihnen jetzt wegnehmen, weil wir wieder mal glauben, alles viel besser zu wissen?
Die Frage ist, tun wir ihnen damit wirklich einen Gefallen? Oder machen wir nicht genau dasselbe, was Fundamentalisten im Gegenzug machen, nämlich den anderen ihre "Heilslehre" aufzwingen?
Extreme sind garantiert immer der falsche Weg, egal, in welche Richtung das Pendel ausschlägt.